10.02.2020 |

Von der eigenen Familie versklavt

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Brenya ist 18 Jahre alt, aber er ist erst in der sechsten Klasse. Denn er erlebte, was in Ghana viele Kinder aus armen Familien durchmachen:
statt geschützt zu werden, wurde er ausgebeutet – von seinen Verwandten.

Als Brenya jünger war, verließ seine Mutter den Vater und nahm Brenyas sieben Geschwister mit. Brenya blieb allein mit seinem Vater zurück. Er wurde vernachlässigt, so etwa, was seinen Schulbesuch betraf: Mehrere Male wurde er von der Schule gewiesen, weil sein Vater die Gebühren nicht bezahlte.

Doch Brenya gab nicht auf. Er war entschlossen, in der Schule zu bleiben, auch wenn er zeitweise arbeiten musste, um die Gebühren selbst zu zahlen. Als seine Tante aus der nahe gelegenen Stadt Akosombo zu Besuch kam und anbot, ihn mit zu sich zu nehmen, ergriff er die Gelegenheit.

„Ich wollte zur Schule gehen und dann Soldat werden“, sagt Brenya. „Also ging ich mit meiner Tante, in der Überzeugung, dass sie mir helfen würde, die Mittelschule abzuschließen.“

Aber Brenyas Tante nahm ihn nicht mit nach Akosombo. Sie brachte ihn in ein abgelegenes Fischerdorf am Voltasee. Der See im Südosten Ghanas ist der größte künstlich geschaffene Stausee der Erde. In dem Dorf gab es keine Schule. Brenya war dorthin gebracht worden, um fortan ohne Bezahlung für den Mann seiner Tante zu arbeiten, einen Fischer.

Seine neugewonnene Hoffnung verwandelte sich schnell in Angst.

Sieben Tage auf dem See, oft ohne Essen

Der Junge flehte seine Tante an, ihn wieder nach Hause zu bringen – ohne Erfolg. Stattdessen zwangen seine Tante und sein Onkel ihn, um vier Uhr morgens aufzustehen, sieben Tage die Woche, um stundenlang mit seinem Onkel im Kanu unterwegs zu sein. Erst bei Sonnenuntergang hörten sie mit dem Fischen auf. Oft bekam Brenya den ganzen Tag kein Essen.

Brenyas Tante passte auf, dass er keine Möglichkeit fand, seine Mutter und seinen Vater zu kontaktieren. Die Eltern hatten keine Ahnung, wo er war und was ihm geschah.

„Ich bekam Angst um mein Leben“, erinnert sich Brenya und schaudert. „Ich war überrascht, dass meine eigene Tante mir das antun konnte. Ich hatte kein Geld, um wegzulaufen. Selbst wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich nicht den Weg nach Hause finden können. Ich hatte kein Telefon, um jemanden anzurufen.“

Brenya ist eines von vielen Kindern in Ghana, die Gefahr laufen, vernachlässigt und missbraucht zu werden. Allzu oft haben ihre in extremer Armut lebenden Eltern wenig bis kein Verständnis für den Schutz von Kindern. Außerdem fehlen ihnen die Mittel, um ihre Kinder angemessen zu versorgen.

Auf die Frage nach den Ursachen von Ausbeutung und Missbrauch, nannten die Befragten am häufigsten einen Mangel an elterlicher Fürsorge, Anleitung und Aufsicht – ein Mangel, der zu Kinderarbeit und Sklaverei führen kann:

  • Fast 200.000 Kinder werden in Ghana durch gefährliche Arbeit in der Kakaoindustrie ausgebeutet
  • 50.000 Kinder leben auf der Straße – wo sie manchmal auch arbeiten
  • Kinder arbeiten auf dem Voltasee unter sklavenähnlichen Zuständen; die genaue Zahl der Betroffenen ist nicht bekannt

Alarmiert durch diese Zustände, hat Compassion Ghana ein Schulungsprogramm in Kindesschutz entwickelt, für alle Mitarbeiter und Eltern seiner Partergemeinden. Das Training schärft das Bewusstsein für das Thema und bietet praktische Hilfe, um die Kinder zu schützen.

Auch die ghanaische Regierung hat sich dem Kampf angeschlossen und Gesetze geändert, um Kinder verstärkt vor dem Verlassenwerden, Entführungen und Sexualdelikten zu schützen.

Unter denen, die an den Schulungen über Kindesschutz teilnahmen, war auch Brenyas Mutter. „Das Training hat mir die Augen geöffnet“, erzählt sie. „Mir wurde klar, dass viele Dinge, die ich getan hatte und tat, dazu führten, dass ich nicht auf das Wohl meiner Kinder achtete.“ Sie beschloss, nach ihrem Sohn zu suchen und ihn nach Hause zu holen.

Ein älterer Junge hilft

Nach zwei Jahren Zwangsarbeit traf Brenya einen älteren Jungen und vertraute sich ihm an. Der Junge besaß zufällig ein Telefon. Er rief sofort Brenyas Mutter an und informierte sie über den Aufenthaltsort ihres Sohnes. Mit Hilfe der Mitarbeiter des Compassion-Kinderzentrums konnte sie in das Fischerdorf reisen, ihren Sohn finden und nach Hause bringen.

„Hätte das Kinderzentrum nicht gehandelt, würde Brenya immer noch Ausbeutung erleiden, und das wäre das Ende seiner Schulbildung“, sagt der Direktor des Compassion-Kinderzentrums. „Vielleicht wäre er sogar gestorben – und niemand hätte davon erfahren.“

Heute ist Brenya wieder in der Schule. Trotz seines fortgeschrittenen Alters ist er entschlossener denn je, die Schule zu beenden.

„Durch die Aufklärung der Mitarbeiter, der Eltern und der Kinder selbst zu diesem Thema sind wir in der Lage, potenzielle Kinderarbeit und Vernachlässigung zu stoppen“, erklärt der Leiter des Kinderzentrums. „Tatsächlich sind die Bewohner unseres Orts jetzt so gut über Kindesschutz informiert, dass sie uns den geringsten Verdacht auf Missbrauch melden. Denn sie vertrauen uns, dass wir handeln.“

Vera Mensah-Bediako, Compassion Ghana

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