08.03.2021 |
Weltfrauentag am 8. März – Angelita, 91, aus Ecuador berichtet über ihre Herausforderungen in der Pandemie
Weltfrauentag am 8. März – Angelita, 91, aus Ecuador berichtet über ihre Herausforderungen in der Pandemie
91 Jahre voller Erinnerungen gehen Angelita durch den Kopf – Momente großer Freude, aber auch großer Traurigkeit. Im Laufe ihres Lebens hat sie viele Veränderungen in ihrer Stadt und ihrem Land gesehen: wirtschaftliche oder politische Probleme, Naturkatastrophen und Schicksalsschläge.
Von klein auf half sie ihren Eltern bei der Arbeit auf den Rosenplantagen, sammelte, putzte und verpackte die Blumen für den Export. Angelita konnte weder zur Schule gehen noch eine Ausbildung machen. Ein beschwerliches Leben, harte Arbeit, anstrengende Tage in der Sonne und lange Nächte ohne Schlaf, weil sie versuchte, genug Geld zu verdienen, um ihre Familie zu versorgen.
„Seit ich sechs Jahre alt war, arbeitete ich auf den Feldern. Ich wuchs sozusagen dort auf, umgeben von Rosen und Arbeit, aber immer glücklich. Ich wollte nie traurig oder entmutigt sein. Ich war immer zufrieden mit dem, was Gott mir gegeben hat“, sagt Angelita.
Trotz lebenslanger Herausforderungen und Kämpfe hätte sich Angelita nie vorstellen können, eine weltumspannende Pandemie zu erleben. Am Anfang war ihr das Ausmaß kaum bewusst. Sie stellte sich vor, dass COVID-19 nur eine saisonale Krankheit sein würde, die bald wieder verschwinden würde. Wie viele von uns lag sie damit falsch.
„Alles ging sehr schnell. Meine Kinder sagten mir, dass ich das Haus nicht verlassen dürfe, dass ich mich niemandem nähern solle und dass ich die ganze Zeit eine Maske tragen solle“, sagt sie. „Ich hatte große Angst. So etwas hatte ich noch nie erlebt.“
Obwohl ihre Kinder in direkter Nähe wohnen, brachte die Isolation für Angelita Tage großer Traurigkeit. Die Tage wurden zu Wochen und dann zu Monaten. Angelita wurde immer verzweifelter. „Eines Tages konnte ich es nicht mehr ertragen„, sagt sie. „Ich verließ mein Haus und ging den Berg hinauf. Alles war geschlossen. Die Straßen waren menschenleer. Es war, als ob alle Menschen verschwunden wären.“
Für Angelita war es sehr schwer zu sehen, wie sich innerhalb weniger Monate ihre gesamte Umgebung verändert hatte. Geschäfte waren geschlossen, Menschen hatten ihre Arbeit verloren. Ganze Familien mussten hungern, weil sie kein Geld hatten. Kinder weinten, weil sie ihre Häuser nicht verlassen konnten. Die Rosen wurden nicht exportiert, sondern einfach weggeworfen und auch Angelitas Söhne und Töchter litten unter den Folgen der Krise. Ihre Angst wuchs, als sie sah, dass ihre Enkel nicht mehr zur Schule gehen konnten und ihre Tage zu Hause verbringen mussten. Noch nie in 91 Jahren hatte Angelita eine solche Situation erlebt.
Angelita war schon immer eine großzügige Frau. Mehrere Jahre lang hatte sie ehrenamtlich in der Küche des Kinderzentrums der örtlichen Compassion Partnerkirche Essen für die Kinder zubereitet. Während das Kinderzentrum geschlossen ist, baut sie Gemüse und Getreide in ihrem Garten an und verschenkt es an bedürftige Nachbarn. Angelita hat erkannt, dass sie sich an die neue Realität anpassen muss und sich nicht von den herausfordernden Umständen überwältigen lassen darf. Für sie ist es eine Zeit, in der man sich zusammentun, umeinander kümmern und gegenseitig unterstützen sollte.
Im folgenden Interview berichtet Angelita aus ihrer persönlichen Erfahrung:
- Welche Auswirkungen hatte COVID-19 auf Sie und Ihre Familie? COVID-19 hat meine Familie vor allem finanziell getroffen. Meine Kinder haben ihre Arbeit verloren und es ist sehr schwierig für uns geworden, genug zum Überleben zu haben.
- Was ist für Sie als Frau am schwierigsten in dieser Pandemie? Ich bin Witwe. Obwohl meine Kinder mir helfen, gab es Tage, an denen ich nicht genug zu essen hatte. Als ältere Frau finde ich keine Arbeit, aber ehrlich gesagt mache ich mir keine Sorgen um mich selbst. Ich mache mir mehr Sorgen um meine Enkelkinder, wenn sie kein Essen haben.
- Hat diese schwierige Zeit auch etwas Gutes gebracht? Ja, ich denke, diese Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir bessere Menschen sein sollten, und dass es wichtig ist, einander zu helfen und Unterstützung anzubieten.
- Abgesehen von der Pandemie, was sind die größten Probleme, mit denen Frauen in Ihrem Dorf konfrontiert sind? In meinem Dorf gibt es zahlreiche Herausforderungen, mit denen Frauen täglich konfrontiert sind, beispielsweise häusliche Gewalt und Alkoholismus, der Gewalttätigkeit bei Männern verstärkt.
- Wie hat COVID-19 diese Probleme beeinflusst?
Gott sei Dank gab es in meiner Familie in letzter Zeit keine größeren Herausforderungen. Aber ich habe von Gewalt und Misshandlung anderer Frauen gehört, weil sie durch den Lockdown das Haus nicht verlassen konnten. Ich habe den Eindruck, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat.
- Glauben Sie, dass Frauen mehr von COVID-19 betroffen sind als Männer?
Ich denke, es liegt daran, dass viele Männer Frauen für minderwertig halten. Sie unterschätzen uns und viele Frauen lassen sich schlecht behandeln und auch misshandeln. Als ich jung war, habe ich das selbst erlebt und weiß, wie es sich anfühlt.
- Die aktuelle Ungewissheit – was löst sie bei Ihnen aus?
Sie macht mir sehr viel Angst. Ich habe Angst davor, nicht zu wissen, was mit meinen Kindern und Enkelkindern in der Zukunft passieren wird. Ich habe nicht mehr viele Jahre vor mir, aber meine Enkelkinder fangen gerade erst an zu leben.
- Was macht Ihnen Freude?
Zu sehen, wie viele Menschen ihr Herz geöffnet haben und jetzt großzügiger sind. Das macht mich glücklich. Es freut mich zu sehen, wie Menschen teilen und sich um andere Familien kümmern.
- Was für ein Leben wünschen Sie sich für Ihre Enkelkinder?
Ich möchte, dass meine Enkelkinder studieren und einen guten Job haben. Ich möchte nicht, dass sie das erleben, was ich erlebt habe oder unter dem leiden, was ich erlitten habe.
- Ihre Enkeltöchter Cory und Emily sind Teil des Compassion-Patenschaftsprogramms – was denken Sie darüber?
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, etwas über Gott zu lernen. Meine Enkelinnen sind jetzt 8 und 10 Jahre alt. Ich bin froh, dass sie im Kinderzentrum von klein auf christliche Werte lernen.
- Wie hat die Kirche Ihnen während der Pandemie beigestanden?
Die Leute von der Kirche waren sehr gut zu mir. Sie haben mir immer Essen und Vorräte gebracht, sie rufen mich regelmäßig an und fragen, ob es mir gut geht oder ob ich etwas brauche. Sie geben mir auch Ratschläge und raten mir, dass Haus nicht zu verlassen.
- Beschreiben Sie Frauen in drei Worten.
Schön, mutig, weise.
- Wie sehen für Sie persönliche Erfolge aus? Wie würdigen Sie diese Momente?
Mir sind Freundlichkeit und Großzügigkeit sehr wichtig. Ich bewundere Menschen, wenn sie ein gutes Herz haben und nicht selbstsüchtig sind. Deswegen achte ich darauf, dass ich auch anderen gegenüber freundlich bin.
- Was für eine Welt wünschen Sie sich für Ihre Enkeltöchter?
Eine Welt des Friedens, ohne Diskriminierung, ohne das Böse. Eine Welt, in der Männer und Frauen gleich behandelt werden und in der es keine Gewalt mehr gegen Frauen gibt.
Bilder, Bericht und Interview: Nico Benalcazar, Compassion Ecuador
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